Gestern Abend gegen zwanziguhrdreißig, es dämmert bei 32 °C. Lenke meine Karre gerade auf den »Einkaufsparadies-Parkplatz.«
Schitt! Alles dicht – oh nein, nix Schitt! In der Mitte des Gewimmels ist ja noch ein wenig Raum. Die freie Bucht angesteuert und
rann an die Mole. Paßt – Aussteigen geht auch noch.
Schlüssel auf »Garage«, raus aus dem überhitzten Eimer und ...taps...taps... zum Gepäckfach. Leergut an die Sonne – zwei Kisten,
die eine links die andere rechts. Kofferraumdeckel zu und weiter – aber wieso ist mir auf einmal so heiß? Die Kisten sind doch leer
und wiegen nix. Schweiß läuft in meine Augen und das Hemd klebt mir auf’m Balg.
Ein Blick zum Himmel und – da ist kein Himmel. Der gesamte Vorplatz des Supermarktes ist überwellblecht. Unter dem Dach wabern
die Abgase und können nicht weg; die Luft steht und flimmert rum. Na ja – Sommer eben. Ab zur Pfandannahme.
Verdammt eng alles – Auto neben Auto. Ich muß mich mit dem Pfandzeugs an beiden Flügeln quer im Krebsgang durch die Reihen
zwängen und dabei darauf achten, daß ich mit den Plastikkisten in meinen Händen nicht an die Plastikkisten auf dem Parkplatz
scheppre.
Die erste Reihe ist geschafft, da seh’ ich mit dem linken Auge Aiche und Yassimin – beide ausgiebig kaugummikauend – an irgend
einem Ranzeimer lehnen.
Wie eingangs erwähnt, senkt sich die Sonne. Licht und Schatten gepaart mit der heißen Luft machen sich einen Riesenspaß daraus,
meine Sinne zu verwirren – ich lasse ihnen die Freude und schleppe weiter mein Zeug in Richtung Eingang.
Linkes Auge: Aiche und Yassimin wächst gerade ein hellbeiges, staubiges Fell. Die intensiven Kaugummi-Kaubewegungen ihrer
Unterkiefer lassen diese langsam aber sicher zu denen von Dromedaren werden. Aus Richtung »irgendwo vor mir« klingeln
orientalische Rhythmen aus Autoboxen – metallisch, ansteigend, lauter werdend. »M E D I N A - F E E L I N G !«
Mein linkes Auge kann nicht von den beiden kauenden »Kamelen« lassen – Aiche hat bereits vier Beine, Yassimin immer noch zwei –
aber jemand muß sie losgebunden haben – sie zockelt gerade auf die andere Seite des Ranzeimers. Ich überlege noch, wer das denn
getan haben könnte, als das Licht meines rechten Auges auf zwei schwarze Lederrücken (mit modischen Dreiecks-Applikationen für
den orientalischen Herren) fällt.
Murrat und Mächmädt (irgendwo zwischen 20 und 30 Jahren) stehen mit dem Rücken zu mir – genau in dem Gang, den ich nun
einmal nehmen muß. Sie bemerken nicht, wie ich im wackeligem Schritt-für-Schritt-Tempo, durch die Autoreihen näher komme.
Beide diskutieren angeregt und voller ehrlicher Bewunderung über einen, vor ihnen stehenden, mitternachtblaumettalicfarbenden,
tiefer-breiter-geileren, Nissan/Madzda/D&W/Ranzeimer/Toyota/Irgendwas/Karren, aus welchem – versteht sich von selbst – die Medina
beschallt wird.
Hmmmm? Mein Maul schnappt sich den letzten verfügbaren Happen Luft, der sich ehr zufällig unter das Dach dieses »Suks« verirrt
hatte. Die Lunge ist so nett und schickt davon einen kleinen Teil nach oben – der Brägen rattert an – hörbar; für mich wenigstens.
Die beiden Schwielensohler kriegen da nix von mit – sie lauschen gerade dem Sound ihrer gummimahlenden Kiefer und die
Schwarzrücken den nahöstlichen Klängen und ihrem eigenem Gesabber über mnbm-farbende Auto-Etwasse.
Auf der brodelnden Luftmasse und dem Nahostlärm liegt nach wie vor der große, heiße Wellblechdeckel. Krach, Hitze, Feuchtigkeit,
etwas Luftähnliches – Alles ist Eins – der Deckel is’ druff und ich bin mittendrin.
Bewege mich mittlerweile rein mechanisch durch den ganzen Wahnsinn. Jeder weitere Schritt fühlt sich an wie zehn, jede durchschwitzte
Sekunde auch mal zehn – mindestens.
»Plopp« – die letzten Sauerstöffchen kommen oben an. Linkes Auge: Nun hat auch Yassimin vier Beine und ein vollständiges Fell.
Das Bild ist endlich komplett – wurde ja auch Zeit.
Ich fasse zusammen:
Zum ersten:
Es ist brüllend heiß und für mich; auf eine unerträgliche Weise laut. Orientalisches »Kling-Kling-Dinggel-Donggel«
füllt nicht nur meine Ohren sondern mittlerweile den ganzen Körper. Das schmerzt.
Zum anderen:
Es geht mir hier gerade alles auf den Sack.
Zum dritten:
Ich bewege mich auf zwei halbstarke, osmanische Schwarzrückenmännchen zu, welche unter den Augen ihrer
Reittiere bestimmt nicht auf ein »Entschuldigung, ich würde da gern mal durch« auch nur einigermaßen mitteleuropäisch
reagieren werden.
Noch eine Autolänge und ich bin auf Arschtrittweite dran. Arschtritt ist ok, dann muß ich wenigstens die Kisten nicht abstellen –
und auch nicht länger die Situation erläutern – in welcher Sprache überhaupt? Arschtritt wird weltweit verstanden. Der Plan ist gut.
Ein Meter noch. Wenn Murrat und Mächmädt jetzt nicht auf ihre mitternachtsmetallicblauen Schimmel steigen und zum Himmel
auffahren, dann wird es eng.
Den Gedanken gerade zu Ende gedacht, drehen sich Murrat und Mächmädt urplötzlich und zeitgleich zu mir um – auf ein geheimes
Zeichen der Kamele? Ich weiß es nicht.
Mein rechtes Auge wird stark vom Schein ihrer Goldketten und Blink-Blink-Uhren überbelichtet. Meine zertrockneten Nasenschleimhäute
lassen sich durch die Ausdünstungen von Murrats oder Mächmädts Haarschmiere balsamieren und meine Ohren empfangen etwas unerwartet
seltsames – gesprochene Worte, klingt wie Deutsch. »’Tschuldigung – steh’ ‘mer im Wech?«
Murrat weicht rückwärts nach links, Mächmäd macht das gleiche nach rechts. Die Gasse zwischen den beiden passierend, nehme ich noch
so etwas wie »haben Sie nicht kommen hören« und ein »Sch’nabend noch« war. Und ich Idiot sag auch noch sowas wie »danke, Sch’nabend noch.«
Danke! – wofür? Die zwei Ärsche haben gerade einen gehörigen Teil meiner Vorurteile mit Füßen getreten. Arschlöcher; Aiche, Yassimin,
die Kamele, die Schwarzjacken – alle Sechs!
Pfand weggebracht, widder raus aus ‘em Einkaufsparadies – die Hitze steht immer noch unterm Dach aber die Höckertiere sind weg – Aiche
und Yassimin auch. Murrat und Mächmäd? Die Kackkarre? – keine Spur davon. Die orientalischen Töne? – verklungen. Die geparkten Autos? –
zum Großteil verschwunden. Ich schwenke quer über den nahezu leeren Platz zu meiner Kiste und komme an der Stelle vorbei, an welcher noch
vor wenigen Minuten die Paarhufer angepflockt standen – und was seh’ ich? Nichts, noch nicht einmal ein ausgespucktes Kaugummi – die wollen
mich verarschen, da bin ich mir sicher.
Tür auf, reinsetzen, Schlüssel auf Fahrt – weg jetzt.
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Mittwoch, 21. Juli 2010
Freitag, 16. Juli 2010
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