Donnerstag, 23. Dezember 2010

Begegnungen...

... der Ersten, der Zweiten und der Dritten A.R.T.




»Den hatte ich auch mal – aber ...«

So, oder so ähnlich fängt es oft an. Die Unterschiede der Reaktionen auf mein Altauto sind ebenso unterschiedlich,
wie die Reagierenden selbst – von nett bis absurd – unterschiedlich eben.

Fürs Volk: Ich gurke mit nem BMW 2002, Baujahr neunzehnhundertachtundsechzig durchs Land. Zwei Liter Heberaum,
einhundert PS plus-minus ein bißchen. Daß Ganze bald jeden Tag, seit etwa dreizehn Jahren. Ein und dasselbe Auto –
keine Sammlung. Nun das Besondere: Einfacher Vergaser – Solex, nix Weber. Kein Radio, kein Tourenzähler – Zeituhr
stattdessen. Keine Spochtspiegel (nimma einen rechts). Kein Rennfahrwerk; ausschließlich Werkswerk. 165er vorne,
hinten, links und rechts – manchmal auch im Kofferraum.

Im Dorf war ich einer der Ersten, der 1998, ’99 ein “H” hinter der Nummer hatte. Daß ich ein riesen Typ bin, ist mir
seit meiner Kindheit klar – aber auch noch Trändsätter (wuff!).

Warum ich das schreibe? Weil sie mit dem Hakennzeichen anfingen, die Begegnungen der [b]Ersten A.R.T.[/b]

Meistens sprachen mich ältere, höfliche, mit Textilien bekleidete Menschen an. Überall. Aufm Parkplatz beim ALDI,
am Baumarkt, anner Tanke – wo auch immer.




Ein Ehepaar, so um die siebzig:

Er: »Schönes Fahrzeug haben sie da. Hatten wir auch mal – in den Sechzigern – aber als 1600er. Ich war Student
und konnte mir den Zwoliter mit hundert PS nicht leisten.«

Sie: »Und der Jung war unterwegs.«

Er: »Is ne wilde Zeit gewesen und vom 2002 haben wir alle geträumt. Gerostet haben die, wie nix Gutes.
Sie wissen schon, zerrostet sind die Dinger.«

‘Ja, ich weiß, leider weiß ich.’

Sie: »Ach nee, schön der Wagen, aber was soll das “H” hinter der Nummer?«

Das erklärte ich dann, zur Not zweimal. Auf besonderen Wunsch auch im Detail.




Andere Variante: Ein Mann, Mitte’Ende sechzig:

»Tolles Auto haben sie da – hatte ich alle. Vom 1500er bis zum Zweiliter – über Jahre, immer Null-Zwo.
Allesamt verrottet oder vor die Wand gesetzt. Der 1800er war neu, da hab ich für unseren Neffen den Nikolaus
gegeben. Dezember ‘73, früher Abend, glatte Straßen. Ein bissken viel Schnaps im Kopp und auf der Rückfahrt
stand ne Mauer im Weg – schad war et drum. Hab mir danach wat Vernünftiges gekauft.«

‘Was Vernünftiges? Mit anderen Worten, etwas Langweiliges?’

»Den ersten Passat in quittegelb – sehr langweilig – da half auch die Farbe nich.«




Einer meiner Liebsten; der “60er Jahre Schnösel”:

Fahr um drei, vier Uhr morgens an die Tanke. Steht der Tankstellenbesitzer da – muß der Inhaber sein – er ist
der Einzige, der neben der Säule raucht. Tritt die Kippe aus und wackelt zu mir rüber.

»Morjen. Den hatte ich mal, auch als 2002, aber in orange. Neu gekauft. 1969 etwa. Für neuneinhalbtausend
Mark oder so. Nach nem knappen Jahr direkt wieder vertickt und den 2002-ti geholt; das war ein geiles Teil:
Selbe Farbe, selbe Innenausstattung. Den ti-Schriftzug habe ich allerdings abgemacht. Mein Vermieter hätte
mir sonst die Preise erhöht.«

Sonnem Menschen höre ich gerne zu und mach dem die Motorhaube auf, wenn er kucken will. Der darf sich
auch hinters Steuer klemmen, um vergangenes Leben nachzuatmen. Ihm macht es Spaß, mir ebenfalls.
Ist dann so, als ob der Penner dem St. Martin die Hälfte seines Mantels überlassen würde.




Oder diese hier, um die vierzig:

»Den hatten unsere Eltern (mein Onkel, meine Tante, mein etc.). Simmerimmer mit nach Italien – zu dritt auf
der Rückbank – ich hab noch Geschwister. Entschuldigung, darf ich mich mal reinsetzen?«

‘Klar darfst Du.’ Ich klappe automatisch die Rückenlehne um. Natürlich wollen sie hinten sitzen, im Kopp gehts
ja wieder Richtung Süden.

Bei sowat hab ich es nie eilig und muß auch nirgendwo hin. Irgendwann sind die Leute dann aus Italien zurück,
steigen entspannt und breit grinsend aus, sagen danke und gehen gelassener weg, als sie gekommen waren.
In diesen Momenten fühle ich mich wie ein Wunderheiler – nein, wie ein guter A.R.zT.




Ne ganz “bekloppte” Nummer:

Spätherbst – zwanzig Uhr rum. Stockdunkel, trostlos, kalter Wind. Regen im 45° Winkel – immer mitten in die
Fresse oder in den Kragen. Totales Scheißwetter. Hab die Kiste grade geparkt und haste in den Baumarkt.

Beim Reinkommen seh ich sie schon, die nette kleine an der Kasse. So eine kennt Ihr auch alle. Die, mit dem glatten,
überschulterlangen, kastanienbraunen Haar und der auffallend hellen Haut. Die, die genauso untergewichtig ist,
wie meine Karre. Sie hat was von “Twiggy”, dem sechziger Jahre Mannequin und paßt, mit ihren schlanken Armen
und Beinen, optisch perfekt zum 2002 und dessen streichholzdünnen A- und B-Holmen.

Sie, zu ihrer Kollegin: »Das ist der Kunde (dabei sonnt sie mich an) mit dem süü...üüßen (was kommt jetzt?)
kleinen Auto, einem – wirklich schönen – Mercedes« (Bitte?).

‘Hör’ mal Hase.’

Laut Namensschild heißt sie Frau Hase, aber ich lass das Frau meistens weg. Ihre Reaktion ist dann immer
ein “Hihihihihi.”

‘Also Hase ...’

»Ja, hihihihihi.«

... das ist ein BeEmWe – BMW, wie Bob Marley and the Wailers; ist doch nicht so schwer, oder?’

»Bob Marley and the “Was”? Hihihihihi. Sie sagen manchmal Sachen.«

‘Genau, Bob Marley and the “Was” – BMW halt. Und ja, ich sage manchmal Sachen.’

Darüber hinaus, denke ich auch manchmal Dinge. ‘Hihihi’ (das war ich jetzt).

Die Häsin: »Ja, ja, Frauen und Autos.«

‘Ne, ne, nicht Frauen und Autos ... Hasen und Autos ... ist ein Unterschied’ sach ich noch; aber mein Gerede
funktioniert seit längerem nur noch rein mechanisch. Im Geiste bin ich seit Zeiten abgedriftet (ich denk ja
manchmal Dinge – Sie erinnern sich).

Stell mir grade die Omma vom Hasen vor und sehe diese – selbstverständlich 1 zu 1 aussehend, wie die
aktuelle Häsin – im Jahre 1968, angetan mit einem extrem Stoff sparenden Minirock und zeitgenössigen,
körperbetonenden, vielfarbigen Blumenmusteroberteil, in nem BMW-Verkaufsraum, an einem 2002 mit
100 PS lehnen und höre sie zum Verkäufer sagen:

»Mein Mann und ich, wir interessieren uns für den süü...üüßen kleinen Wagen hier, diesen – wirklich schönen –
Mercedes.«

Das Gesicht des 68er Verkäufers verliert an Freundlichkeit – ich hingegen bemerke bei mir ein leichtes Grinsen.
Klappe zu und Schnitt an dieser Stelle.

Mit einem Mal sehe ich die 2010er Häsin – im ‘68er Minirock der Omma – unmittelbar vor mir stehen.
Ihre zerbrechlichen Beine baumeln unter dem, gewagt kurzen Stück Stoff herum; und aus der farbenfrohen Wiese,
ihrer enganliegenden Blümchenmusterbluse springen zwei besonders hübsche Knospen, in 3D hervor.

Sie schaut mir, mit ihren – wirklich schönen – frühlingsmorgenblauen Augen, sinnlichtief in die meinen.
Etwas ungläubig starre ich zurück; zurück in diesen – wirklich schönen – doppelten Sonnenaufgang.

Noch weitaus ungläubiger fixiert mein Blick ihr – wirklich schön geschwungenes – Lippenpaar, welches soeben
das Wort “süü...üüß”, mehr fühl- als hörbar, hervorgehaucht hat und sich nun – unterstützt durch ein leichtes
Öffnen ihres Mundes, dazu anschickt den Buchstaben “M” (“M,” wie M.Bruns?) zu formen.

Beide Lippen ziehen dabei immer weiter auf und lassen mich schon einen ersten Blick, auf den leicht feuchten Glanz –
dieser wirklich schönen Perlenschnur – ihrer unteren Zahnreihe, erahnen.

Ein warm klingendes, unglaublich weiches, unnachahmlich ausgesprochenes “M” verläßt ihren Mund in meine
Richtung; gefolgt von einem, in der Tonlage nur leicht modifizierten “E”. Nun rollt ein “Rrrr” heran, welches an
seinem Ende hart in ein “C” rüber zischt. Wieder ein “E” und noch ein doofes “D”.

Scheißdreck! Den Rest kann ich mir denken. Zweite Klappe, zweiter Schnitt.

Ich drücke mir augenblicklich den Rauch aus dem Kopp. Ein letztes Bild schlägt ins Grau und verwässert.
Sah ich gerade Pinocchio vor zwei kreisrunden, frühlingsmorgenblauen Sonnenaufgängen auf einer Blumenwiese
stehen – ohne Hosen? Mir war so. Zeit zu gehen. ‘Hihihihihi’ (wer war das den jetzt?).




Bis hier ist alles noch OK, nur leichtes Fieber. Die Begegnungen mit den Öko-Stinker-Blötschköppen lass ich
heute mal außen vor. Abwrack- und Plakettenäffchen benötigen einen weitläufigeren Zoo, als diesen Text.

Nochmal knapp: Ich hab nix gegen ältere, höfliche und bekleidete Menschen, die mal nen 1600er fuhren.
Auch nix gegen Leute, denen die gesamte Baureihe über Jahre unter ihren Fütten weggefault ist. Die Geschichte
vom “60er Jahre Schnösel”, der seinen 2002-ti umetikettieren mußte, damit die Miete schlank blieb, gefällt mir sogar.
Nein, ich hab auch kein Problem mit Kindheits- oder Jugenderinnerungen und selbst das “bekloppte” Häslein ist für
mich wesentlich liebenswerter, als diese haßerfüllten, unansehnlichen Öko-Taliban aller Renate Künast oder
Tanja Gönner.

Aber, es gibt auch immer wieder die Begegnungen der [b]Zweiten A.R.T.[/b]

Einschub: Wenn ich schon die Öko-Spinner weggelassen habe, kommen die Fernsehköche auch nicht rein.
Die Knallköppe, welche seit dem Aktiendebakel in “Garagengold” investieren, haben hier ebenfalls nix zu suchen
(Garagengold, das Wort alleine – Brüllkotz-Smily mit extra dicken Backen und besonders scharfem Strahl).

Nein, es gibt ja noch viele andere Gruppierungen von Mega-Ärschen. Wenn die Grün-Gesichter mich am gesunden
Menschenverstand zweifeln lassen und die Frensehfressen an den Nerven zerren, dann sind da immer noch genügend
weitere, sich immer wieder neu erfindende, selbst beweihräuchernde “Altauto-Kasten”, deren Mitglieder – vom untersten
Unterarsch bis zum Obersten Oberarsch – einem das Mark aus den Knochen lutschen möchten.




Nummer 1 aus der X-Kaste:

Relativ jung, recht unhöflich, kaum, aber dafür scheiße bekleidet. Der Sack kommt auf mich zu; irgendwo:
»Den hatte mein Vatter mal. In den 80ern. Mit funfundsiepzitsch Pferden. Was war ich froh, als der sich den
GTI geholt hat und das Ding endlich wegkam ... der GTI, in feuerwehrrot mit ...

Er schwelgt in Erinnerungen

... Funfloch-Alus und den ersten Satz Niederquer... ...

Ich schwelge nicht mit. Alles gähnend egal und austauschbar.

... mit Nebel vorne wie hinten.«

‘Vorne und hinten oder sowohl vorne als auch hinten’, denke ich halblaut. ‘Hab’ da noch ein rostiges Eisenrohr
im Kofferraum. Damit könnte ich dir – von vorne wie hinten – ganz nach Belieben.’

»Äh, wat?«

‘Nix, du saugst.’




Oder ein Vorbeter der Y-Kaste, der 2010er Schnösel mit passender Schnöselgeschichte:

»Den hab ich auch – aber in besser, ...

Dabei steigt er, ohne auch nur ansatzweise die Tageszeit zu erwähnen, aus irgendeiner Wasweißichdenn-Karre.

... mit Vollkunstleder-Halbschalenstühlen aus dem Turbo. Colorverglasung rundum, Alkantara aufm Armaturenbrett,
Talbot-Spiegeln links und rechts, Hunnertfinfunfinzich-PS-Koepchen-Paket. Vom Krümmer bis zum Pott – alles
Edelstahl! iPhone-Ladestation im Handschuhfach mit unsichtbar verlegten Strippen zum Dingsbums-Surround-Car-
HiFi-System. Elektrische, manuelle Fensterkurbeln – voll retro!«

Mist! Leider hatte ich soeben gedanklich, mein letztes verfügbares Eisenrohr im Arsch seines Vorredners versenkt.
Ein Satz noch Junge! Ich hohl es da wieder raus und hau es dir quer übers Maul.

»Mein original Blaupunkt laß ich gerade auf terrestrischen, digitalen Rundumempfang umbauen. Man will ja
schließlich auch “Antenne-Erkenschwick” reinbekommen.«

Supersaug!




Weiteres Gesabber und Gesauge von denen, annähernd in meinem Alter – der Kaste der Mamis und Papis
(bitte nicht mit Müttern und Vätern verwechseln).

Mami: »Das ist aber ein nettes Schätzchen!«

Nettes Schätzchen? “Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiep!” auf beiden Ohren.

Ich wünsche mir augenblicklich den Klang des “süü...üüß” zurück, samt den dazugehörigen Bildern aus der Hasen-
Begegnung. Ich hab alles noch genau vor mir, als ob es erst gestern gewesen wäre ...

... damals, angelehnt an diese zierliche Kastanie – die, mit der auffallend hellen Rinde. Dieses untergewichtige Gewächs,
dessen schlanker Stamm so perfekt zu seinen streichholzdünnen Ästen und Zweigen passte ...

... damals, auf dieser – wirklich schönen – gewagt kurz geschnittenen Blumenwiese; zwischen den beiden sanft
geschwungenen Erhebungen, auf deren Spitzen diese besonders hübschen Blüten zu finden waren ...

... damals, an diesem herrlich warmen Frühlingsmorgen, unter dem doppelten, blauen Sonnenaufgang.

... damals, als ich mich erneut dazu aufmachte, einen dieses – wirklich schön geschwungenen – Hügelpaares zu
erklimmen und mir auf halbem Weg – nicht hör-, allein fühlbar – dieser milde Windhauch durchs Haar fuhr.
Ich verweilte ein wenig; wandte meinen Blick nach Süden und konnte von dort – weit unten im Tal – den leicht
feuchten Glanz des Morgentaus erahnen.

Lang her. Wenn ich es richtig erinnere, fuhr ich zu der Zeit Mercedes.




Papi: »Aber was verbraucht der denn so (der Stinker?). In der Stadt? Auf der Landstraße? Der Bahn? Im 16-Drittelmix –
und wie kommen sie mit der Ladekante klar?«

Mami: »Ach Gottchen – nein – der hat ja hinten keine Gurte! Da würden wir unsere Puntinella und den Mälcom nicht
mit zur KiTa fahren wollen.«

‘Sie würden mit dem Auto niemals am Kindergarten ihrer Kleinen ankommen.’

»Wieso?«

‘Es hat kein Navigationssystem. Tach noch.’

Mami zu Papi: »Sooon nettes Wägelchen und dann sooon blöder Kerl!«
Papi zu Mami: »Ja Schatz, da war unser Leasing-Fuzzy aber netter.«

“Leasing-Fuzzy” – alles klar. Ich frage mich nur gerade, auf welcher Seite des Schreibtisches die “Fuzzis” standen,
als der Leasingvertrag unterschrieben wurde.




So weit noch gut. Bis hier alles Leute, mit denen man fertig wird – gerne im Guten und wenn anders, dann eben anders.

ABER – irgendwie zieht meine Karre immer wieder die übelsten Arschlappen an – wie ein riesiger Scheißemagnet –
urteilen Sie selbst.

»Ähhhh!-Eyyyy!« schallt es über den ganzen Platz. Instinktiv reiße ich meinen Nebenmann – einen, mir völlig
unbekannten Menschen – mit zu Boden. Volle Deckung! Dieses überlaute, sich in den hohen Tönen überschlagende
“Ähhhh!-Eyyyy!!” klingt nach Fliegeralarm oder wie eine unmittelbar bevorstehender Explosion von mindestens fünf
vollbärtigen, rucksacktragenden Weißnichtwas-X-isten. Die normale, alltägliche Angst läßt ohne Vorwarnung ihre Hüllen
fallen.

Eine nicht zu bemessende Zeitspanne später, komme ich wieder zu mir. Keine direkten Einschläge, keine Detonationen.
Noch reichlich benommen helfe ich – Worte der Entschuldigung stammelnd – dem Mitgerissenen auf.

Ein zweites, mittlerweile deutlich näheres “Ähhhh!-Eyyyy!” erschallt. Der Gerissene dient mir gerade als wackelige Stütze;
klopft auf meine Schulter und schaut mich, mit einem Weghier-aberschnell-Blick an, wünscht noch irgendwas Gutes und
macht, daß er fort kommt. Ich will ihm am liebsten folgen – aber – die Sache ist noch nicht ausgestanden. Das verrät mir
diese gespenstige Melodie vom “Weißen Hai”, welche ich seit dem ersten “Ähhhh!-Eyyyy!”, deutlich hörbar zwischen
meinen Ohren habe. DuDup_DuDupp_DuDuppp...

»Ähhhh!-Eyyyy! Den hatt itch auch mal – abber als T-iiiiiii-ii!« schlägt es mittschiffs ein. Volltreffer – nichts geht mehr –
Steuerstand schrott, nur noch Rauch – überall.

Dann, aus der ungefähren Richtung des Lärms läuft eine gottlos verdreckte Rattenfresse mit voller Fahrt auf mich zu.
Wie durch Geisterhand schafft es der Holländer (es muß der Fliegende Holländer sein), einen halben Faden vor mir zum
Stehen zu kommen. Er stopt auf und wabert noch eine Weile vor mir rum. Langsam beruhigen sich seine Konturen und
formen etwas menschenähnliches, ohne sich dabei im Detail festlegen zu wollen.

Er nähert sich weiter und unterschreitet dabei bewußt, den international, von allen Völkern dieser Erde anerkannten
Mindestabstand, zwischen zwei, sich fremden Personen.

Ich bemerke, das er es genießt. Seine Konturen werden immer deutlicher – unangenehm deutlich. Es kristallisieren sich
sogar ein Auge und zwei Nasen aus der Wabermasse. Er war bestimmt mal einen guten Kopp länger als ich – früher,
bevor sein massiger Körper der Schwerkraft zollen mußte. Heute kann ich ihm in das Auge kucken, vermeide es aber.
Habe ja schon einiges vom Holländer gehört. Sein Alter ist Legion – unbestimmbar; von Anfang 50 bis Ende 400 ist
alles drin.

Ich zucke zurück. Blitzartig bewegt er seinen rechten Arm und hält mir – wie aus dem Nichts – seine dicken Finger,
keine fünf Zentimeter vors Maul. Das, was ich für Daumen und Zeigefinger halte formen den Buchstaben “C”.
Dabei bilden seine riesigen, vergilbten Nägel übertrieben ausgeformte Serifen.

»Den hatt ich! Abber als T-iiiiiii-ii! Mit sonnem Buch!« Klingt es über die eine kleine Welle, welche noch geradeso
zwischen uns paßt.

Ah, verstehe – er meint das “Große-BMW-02-Buch”, das ich mir mal geliehen, gelesen und für überflüssig gehalten
und somit nie gekauft habe. Das hat in etwa die Stärke von dem, was er da gerade mit Daumendings und Zeigewurst
andeutet.

Ich stammele: ‘Jah, verstehe. Das “Große-BMW-02-Buch” – hab ich auch mal gelesen.’

Das Ungeheuer: »Ähhhh!-Eyyyy! – aber als T-iiiiiii-ii! – mit sonnem Buch!«

Das “C” wurde gerade ‘nen Ticken größer und rückte dabei weiter vor mein Gesicht.

»Ähhhh!-Eyyyy! – der Schein vom T-iiiiiii-ii war sunnen Buch!«

Das “C” wird unerträglich groß und kommt definitiv zu nah. Holländer, du machst mir Angst!

In Gedanken bin ich lange dabei, meinen rauchenden Steuerstand wieder notdürftig zu verkabeln – die ersten,
dünnen Leitungen liegen bereits zum Maschinenraum – ein wenig Saft fließt. So unauffällig wie möglich suche ich
die Umgebung nach einem Fluchtweg ab. Keine Sandbank im Rücken, lasse ich mir von irgendwoher bestätigen.
Ganz leise flüstere ich ein “Achtern aus” ins Sprachrohr.

Das entgeht ihm nicht. Natürlich schließt er weiter auf und behält den viel zu knappen Abstand bei.

»Ähhhh!-Eyyyy! In däm Buch, da stunden Namen drinn, dat glaubszu jarnich. Koepppchen, Alpinar, Schnittzzer ...
die hand sich dadrinnen jejenseitisch die Tür vor dä Kopp jekloppt – Blatt für Bladd Sondereintrajungen – alle wollten
se da rinn! Och dä Doktor – dä Doktor da? Dä mit die Dichtungen – kennse doch?«

‘Ja, ja, der Dichtungsdoktor – ja, der Herr Doktor.’

»Jenau däm – hasse doch ooch?«

‘Nein, hab ich nicht, viel zu teuer und kriegt man heute auch nicht mehr (schwitz).’

»Wadt heeßt den he düjer? 100.000,– Makk hab ich in die Kist versengkt!«

Für einen kurzen Moment ist Ruhe. Das Auge ist halb geschlossen und die Nasen bewegen sich nicht mehr. Was für
ein Glück – er sinniert gerade den 100.000 nach und bewegt sich das erste mal nicht weiter auf mich zu. Selbst
das “C” macht Anstalten in der Hosentasche zu verschwinden – samt Serifen. Ich säusele gleich noch mal ins Rohr –
sowas wie ein 32tel Kraft Achtern aus – und mache den größten Fehler aller Fehler – ich atme erleichtert aus.
Eine Kreatur wie diese, bemerkt sowas natürlich sofort und zieht weiter zu.

Wir erinnern uns an diesem Punkt an all die alten Seekarten. In jeder Ecke waren die übelsten Meeresmonster mit
Schlangenkörpern eingezeichnet. Als Kind habe ich darüber gelacht, jetzt weiß ichs besser.

Schlagartig habe ich wieder das “C” vor der Fresse. Er rückt nach und setzt von neuem an.

»In dämm Buch!!! ...

Und nun geht es nicht mehr um die großen, in Ehre gehaltenen Namen der Rennsportgeschichte – umgehend werden
‘en detail’ die unglaublichen Eigenleistungen aufgelistet. Er ist richtig in Fahrt. Mein Auto ist seit langem egal; ich war
eigentlich nie wichtig. Der große “Ähhhh!-Eyyyy!-T-iiiiiii-ii!”-Munitionsvorrat liegt nicht mehr in den Magazinen.
Es wurde soeben scharf gemacht und der Holländer ist schußbereit. Beinahe zeitgleich brennt er sämtliche verfügbaren
T- und iii-Rohre ab und schickt lautstark deren Fracht über mein Deck.

... Wat war dat fürne Ärbitt mit dänn Finfjangjetrieben – spocht natürlitch! All die Arbände, an dänne ich die jeplatzten
Differentjale von de Strooß jefecht habb. Dä vierhungertachtzpitsch-PeÄs-Turboladder – bis ich däm mal uf
vierhungertzweiunachtzpitsch PeÄs hatt. Nä, nä. Odder die Flachschieberverjaser-Varijanten ... (Ussruffezeichen)«

Und es geht weiter und weiter. Eine endlose Tour durch endlose Reihen von Ersatzteil- und Zubehör-Regalen; voll von
unendlich vielen, nicht endenwollenden Dingen, deren Namen ich zum Teil nur aus Erzählungen kenne und von denen
mir viele, bis heute völlig fremd waren. Fachbegriffe, eigene Wortschöpfungen, was auch immer.

Marshall-Extralicht – natürlich vorne wie hinten – Weber-Vielfachvergaser, Differentialöldruckmeßinstrument neben
anderen Uhren in selbstgefertigter, gelochter Aluminium-Mittelkonsole. Felgen auf doppelte Breite geschweißt.
Schweinebacken – breiter als lang, aber immer noch zu eng für die Pellen, ein Fahrwerk – flach und hart – da wurde
der Mittelstreifen zur gefühlten Bordsteinkante (Ausrufezeichen).

»Und der Waaren war komplett in Agggro-Orangsch jespritzt, für minnestens fünf Mille – mit orijinal Hörnerwhisky-
Komplettbekläbung druff!«

‘Hörnerwhisky = Jägermeister?’

Das erinnert mich an meinen ersten, jugendlichen Suff. Ich blende alles in der unmittelbaren Umgebung aus und zerre
mein Bewußtsein in den tiefsten Kellerraum des Hirns – hinab, in diesen herrlich komfortablen Zustand des Rausches.
In Räumlichkeiten, zu denen kein Außenstehender vordringen kann. Das ganze geschieht im kleinstvorstellbaren Teil
einer Sekunde.

Und was macht der Fliegende Holländer unterdessen? Seit dem ich die “Tür hinter mir zugemacht habe”, versucht er
mich, mit allen Mitteln wieder hervor zu locken. Er hat seine Stimme auf ein normales Maß herabgeschraubt, sich etwas
distanziert und einen ganzen Halben-Faden freies Wasser zwischen uns geschaffen. Der elende Meeresschäumer erhofft
meine Aufmerksamkeit gewinnen zu können und fordert mich auf, zu einem scheinbar harmlosen Spiel. Er will es
wirklich wissen.

Worte wie »Funkentstörte Zündkerzenstecker« und »Flügende-Sicherung zur Heckscheibenheizung« prallen gegen mein
Gemäuer.

Ah – er möchte mit mir scrabbeln! Was war das gleich noch? ‘Fuckgestörter-Kerzenlecker’ und ‘Abfliegender-
Heckschleuder-Heizer’? Glückwunsch, allein die beiden Begriffe bringen geschätzte zwölfhundert Punkte.

Und weiter gehts: »Übberroll-Käfich mit drei einjeschweißten Kreutzen, im Null-, Funfunvierzich- und
Neunzitschjeradwinkel«, klatscht bei mir noch irgendwo auf.

‘Ey, langsam Holländer! Das “Ä” von “Käfig”, hast du beim Rumbrüllen mehrfach verspielt und das “Ü” für “Überroll”,
hasste bei “Flügende-Sicherung” verbraucht – ich hab noch ein paar davon und du hast nicht mal mehr ein “T”.’

»Itsch hann kinn “T” miie – abber wieso dat dänn?«

Das ist gerade für Begegnung der Dritten A.R.[b]T[/b]. draufgegangen.

‘Won!* Tür zü ünd weg.’




“Üs” habe ich ja noch genug – Sie wissen woher.
M.Brüns



*NL für ”gewonnen”





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